aus : "Produkt: Kunst! Wo bleibt das Original?"
Ausst.-Kat. Kunstmuseum Solothurn/ Neues Museum Weserburg Bremen/
Kunstsammlung Gera/ Ludwig Museum, Koblenz, Bremen 1997
von Peter Friese
Susanne Weirich
"All-Work-No-Play", 1995/96, Sets für den kollektiven
Freizeitpark
Gebrauchsanweisung
"All-Work-No-Play" ist in drei Arbeitskategorien unterteilt:
"Erinnerungsarbeit", "Trauerarbeit", und "Beziehungsarbeit".
Die Serie "Erinnerungsarbeit" stellt Materialien für
Gedenkfeiern zusammen. Mit Hilfe dieser Sets können Sie bestimmte
historische Daten und lebensgeschichtliche Einbrüche feiern,
wie "D-Day-Set" (No. 10), "Reunification-Day-Set' (No.
90), oder "Birthday-Set" (No. 1), "Coming-Out-Day-Set"
(No. 7), '"Wedding-DaySet" (No. 30). In der Kategorie "Trauerarbeit"
sind Sets zusammengefaßt,die Sie über den Verlust verlorengegangener
Dinge, Personen, Gefühle und Zustände hinwegtrösten
oder es Ihnen ermöglichen, sich durch aktives Beklagen in einen
bedauernden Zustand hineinzusteigern. So bietet das "Lost-Job-Set"
(No. 94) die Grundausstattung für eine einfache Möglichkeit
zum Geldverdienen. Ähnlich, "Lost-Childhood-Set",(No.
62), "Lost-Inspiration-Set" (No. 13), 'Lost-Key-Set (No.
17), "Lost-Love-Set" (No. 11), "Lost-Illusion-Set"
(No. 24) etc.
Die "Beziehungsarbeit"-Serie umfaßt Sets mit Utensilien
für alte zwischenmenschlichen Situationen. Unter den Artikeln
finden Sie sowohl Vorschläge für das Einhalten von konventionellen
Verhaltensnormen ("Say-Sorry-Set", NO.15), als auch Ideen
und Material für neue Begegnungsmuster, z.B. "Ignoring-Set"
(No. 3), "Smooth-Sailor-Set" (No. 6) und avantgardistische
Sportarten ("Mickey-Mousing-Set, No.5), die das urbane Leben
erst schön machen.
Susanne Weirichs Werkkomplex sieht auf den ersten Blick aus wie
das Display eines Warenhauses für Billigartikel. Auf einer
Lochwand findet sich eine Vielzahl pastellfarbener Kartons, auf
denen zu "Sets" kombinierte Kleinartikel unter einer festen
Klarsichtfolie scheinbar auf ihre Käufer warten. Die Konnotation
"Kaufhausramsch" erweist sich auch noch auf den zweiten
Blick als zutreffend, werden doch so vor allem Einmalfeuerzeuge,
Schlüsselanhänger, Gartenhandschuhe, Scheren, Rosendünger,
Tesarollen sowie andere Haushaltshelfer und Miniwaren nicht nur
sortiert und ausgezeichnet, sondern auch vor Kaufhausdiebstahl bewahrt.
Der steife Karton und die gnadenlos zähe Plastikfolie mit paßgenauen
Ausbuchtungen für besagte Artikel schützen diese in mehrfachem
Sinne effektiv. Da gibt es folienversiegelt etwa eine gelbe Badekappe,
drei kleine Muscheln, ein Kondom mit Bananenaroma und ein Sandförmchen
unter dem Oberbegriff "Erinnerungsarbeit" als "Sentimental-Summerday-Set"
vereinigt. Oder in der Rubrik "Trauerarbeit" als "Lost-Job-Set"
ein Fensterrakel, ein Fenstertuch und einen Handwärmer. Die
Kategorie "Beziehungsarbeit" wartet hingegen unter dem
Titel "Confession-Set" mit zwei Audiokassetten, einer
Miniportion löslichen Kaffees und einer Telefonkarte auf. Beim
Lesen dieser Ober- und Untertitel, die in Kursivschrift wie Artikelbezeichnungen
auf die Kartons gedruckt sind, scheint indessen ein teils ironischer,
teils makabrer Hintersinn auf, der der anfangs konnotierten Ramsch-Banalität
diametral widerspricht. Susanne Weirich bringt hier Begriffe ins
Spiel, die man aus soziologischen oder psychologischen Diskursen
der letzten Jahre zu kennen glaubt und die als Kompositwörter
(Trauer-, Erinnerungs-, Beziehungsarbeit) moralisierend-therapeutisch,
ja durch ihren alltäglichen Verschleiß auch unfreiwillig
komisch klingen können. Wenn man so will, hat sie eine ausufernde
Serie paradoxaler Konstruktionen geschaffen. Hier werden vorgefundene,
industriell hergestellte, banalste Massenprodukte zu "Sets"
vereinigt die auf einmal beginnen, in sich selbst "Sinn"
zu produzieren. Freilich bedürfen sie dazu der gelenkten De-
und Neukontextualisierung des besagten Textes, um so zu etwas Neuem
zu werden. Titel, Untertitel, Gegenstand und Aufmachung gehen so
ineinander über, daß sich ganze Assoziationsketten, ja
potentielle Szenarien herstellen lassen. Die Erinnerung an einen
"Sentimenal-Summerday" ist somit nicht allein durch Plastikramsch
stimulierbar, sondern zugleich in ihrer ernstzunehmenden Fiktion
(de-)konstruierbar, somit als banal und real zugleich analysierbar.
Therapeutische Konkretionen für alle Lebenslagen und Lebenslügen,
produktgewordene, käuflich erwerbbare Lösungs-Muster-Kombinationen.
Indem sie wie Heilsversprechen feilgeboten werden, reflektieren
sie zugleich in sich selbst ihren muster-gültigen Un-Sinn.
Sprache wird zudem in den Artikelbezeichnungen als deutsch/englisches
Crossing perfekt eingesetzt: zwischen makaber-lächerlichem
Soziologendeutsch und modischem Alltagsenglisch. Serialität
als Prinzip, Vielheit und zugleich Stereotypie, ein potentiell im
Sinne einer Massenproduktion fortsetzbarer und zugleich sozial höchst
fataler Rapport wird hier ästhetisch reflektierbar. "All-Work-No-Play"
kann sowohl mit dem Anspruch einer allumfassenden Lösung für
alle Lebenslagen als "Gesamtkunstwerk" verstanden werden,
ist aber auch im Sinne eines Einzel-Sets als standardisierte Muster-Kombination
für den Individual-Fall anwendbar.
|