aus: TAZ, 11.04.2006
Erden und Abheben!
Wie man sich gleichzeitig immobilisiert und internationalisiert, zeigt
der Film
"Der Bootgott vom Seesportclub"
von Helmut Höge
Der Regisseur Robert Bramkamp und die Künstlerin Susanne Weirich
haben das Problem des Widerspruchs zwischen Lokalismus und Globalisierung
noch einmal in Angriff genommen. Dieses Problem drängt sich auf,
es zeigt sich vor allem an der derzeitigen Auflösung der Volkswirtschaften,
dadurch, dass die Betriebswirt-schaften sich transnational verflüchtigen,
während Staat und Nation ans Territorium gefesselt sind und ihnen
so nichts anderes übrig bleibt, als ebenfalls betriebswirtschaftlich
zu agieren - einmal, indem sie ihr "Tafelsilber" (die Infrastruktur)
verscherbeln, und zum anderen, in dem sie bis runter zu den Regionen
und Gemeinden eine absurd konkurrente "Standortpolitik"
betreiben. Das Vergesellschaftungs-Problem bleibt: Wie kann man sich
immobilisieren (verankern) und gleichzeitig Welt erfahren (internationalisieren)?
Für Bramkamp/Weirich begann die Beantwortung dieser Frage zunächst
mit Ausflügen über Land. Einmal stießen sie auf halber
Strecke nach Frankfurt (Oder) auf einen See, an dem Dichter und Intellektuelle
kurten. Heute haben sich dort - am Scharmützelsee bei Bad Saarow
- die Neureichen aus Berlin mit Golf- und Tennisanlagen eingepflanzt.
Aber am Seeende gibt es noch laut Bundeskulturstiftung den alten "sozialen
Mikrokosmos ,Seesportclub Wendisch-Rietz'", wo man auf zweimastigen,
noch immer nicht vom Westen offiziell anerkannten DDR-"Kuttern"
seinen Segelschein machen kann. Dies taten die Berliner Freiberufler.
Damit hatten sie sich dort schon mal freizeitmäßig verankert.
Aber dann kamen sie auch noch mit einem Filmteam an und drehten mit
dem sich bereits leicht zur Agonie neigenden Verein und seinen Aktivisten
eine Dokufiktion, die sich nun im Internet fortsetzt, wobei der Film
wie die Exposition für das Internet-Projekt wirkt.
Im Film fungiert als ABM-Kraft vor Ort und gleichzeitiger sumerischer
Schöpfergott Enki, den man quasi in die Scharmützelsee-Topografie
projiziert hat, der Schauspieler Schortie Scheumann. Die Lexika zählen
Enki zu den halb-anthropomorphen "chtonischen Unterweltgöttern",
dessen Unterleib in ein Boot ausläuft. Er gilt als "Kulturbringer",
weiter heißt es über ihn: "All die verschiedenen Aspekte
der von ihm eingesetzten Stadtgötter sind in Enki selbst vereint",
konkret und für den Scharmützelsee bedeutet dies: Er disponiert
dort eine wachsende Zahl von "Me"s - und diese wiederum
äußern sich, wenn in Funktion, in bestimmten "Fähigkeiten",
die kommuniziert werden, u. a. im Netz. Es handelt sich bei dem Ganzen
um ein "Erzählprojekt"- und damit um Kunst. Im Gegensatz
zu vielen Internetideen ist es jedoch primär-geerdet - und muss
nicht erst über seine Warenform um reale Anerkennung bzw. Clicks
ringen.
Zur Premiere des Films "Der Bootgott vom Seesportclub" in
Duisburg gab es einen Shuttleservice des Vereins. Ins Internet verlängert
sich das Projekt nun zum einen mit weiteren "Lokalismen"
(wie die ortsansässigen Fischer, ein Honda-Händler aus der
Umgebung, der die Bootsmotoren des Vereins wartet sowie die Klosterbrauerei
in Neuzelle mit ihrer Biersorte Enki).
Da es Bramkamp/Weirich um "möglichst unterschiedliche Erzählperspektiven"
geht, kommt dazu noch eine wachsende Zahl von "Internationalismen"
ins Spiel: Auf Mesopotamien spezialisierte Archäologen und verschiedene
Künstlergruppen etwa. Das Projekt "Enki100.Net" ist
nach oben hin offen, nach unten fokussiert es die virtuellen Kräfte
jedoch, das ihrige zum Erhalt und Ausbau des Soziotops Seesportclub
e.V. beizutragen. Das reicht vom Sponsoring (Klosterbrauerei) über
"den besten Büchertisch" (b-books), die individuelle
Vereinsmitgliedschaft und die Wasseranalyse eines limnologischen Instituts
bis zum gemeinsamen Kampf gegen das Röhrichtschutzgesetz. All
diese Netzteilnehmer figurieren als "Me"s im Internet und
sind durchnummeriert, wobei ihre Identifikationszahlen sich auch noch
mal als Pappschilder in den Sumpf- und Schilf-Rändern des Scharmützelsees
wiederfinden, wodurch sie sich gleichsam um das Vereinsheim herum
(optisch) verorten.
Einerseits wird der Seesportclub dadurch an die Welt angeschlossen,
die er mit dem Ende der DDR scheinbar verloren hatte, und andererseits
wird damit die Welt (oder das, was sich dafür ausgibt) am Scharmützelsee
gleichsam geerdet. Dadurch soll das vermieden werden, was schon Herbert
Achternbusch einst beklagte: "Da wo früher Weilheim und
Passau war, ist jetzt Welt … Die Welt hat uns vernichtet, das
kann man sagen."
In Berlin stößt man auf Schritt und Tritt auf solche schwarzen
Löcher - durch Welt liquidierte Orte, aber auch auf solche, die
aufgrund eines fehlenden oder weggefallenen Weltanschlusses in Agonie
versinken. Das "Weltniveau" ist eine Frage des Kapitaleinsatzes
(als scheues Reh bzw. gefräßige Heuschrecke), beim Erzählprojekt
"Seesportclub" kommt im Gegensatz zum Recreation Center
Bad Saarow vor allem symbolisches Kapital zum Einsatz. Die Teilnehmer
sind optimistisch.
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