aus: TAZ, 08.06.2002
Apokalypse never
Die Spuren amerikanischer Trucker und das gemächliche Pendeln
zwischen den Kontinenten: Die Galerie Laura Mars zeigt Arbeiten der
Hamburger HbK-Professorin und Künstlerin Susanne Weirich
von Richard Rabensaat
Kryptisch versilbert schimmert der von Susanne Weirich angelegte Garten
an der Wand der Galerie Laura Mars. Erst wenn Besucher die Schicht
ablösbarer Silberfarbe heruntergerubbelt haben, wird sich das
darunter liegende Geflecht aus pflanzlichen Formen und fiktiven Texten
enthüllen und einen Pfad durch die Arbeit öffnen. Wie hier
fordert die Künstlerin häufig die praktische und gedankliche
Mitarbeit des Orientierung suchenden Rezipienten.
Einmal versammelte sie in Plastik-Sets verschiedene Fundstücke.
Aus einer Badekappe, drei Muscheln, einem Federball, einem Plastikförmchen
und einem Kondom der Marke Ritex mit Bananenaroma wurde ein "Sentimental-Summerday-Set"
aus der Werkgruppe "Erinnerungsarbeit". Es entspinnt sich
unwillkürlich die Geschichte eines sonnendurchtränkten Tages
am Strand, auch wenn die Anordnung reichlich clean wirkt.
"So steril und ordentlich, wie die Dinge in den Sets eingepackt
sind, das ist typisch für Amerika", behauptet Weirich, die
1995/96 am Pasadena Art Center in Kalifornien unterrichtete. Ob sie
etwas aus ihrem Leben mitteilt oder ob es sich lediglich um eine artistische
Versuchsanordnung handelt, darüber schweigt die Künstlerin.
Der prosaisch verwobene Rhythmus aus angedeuteter Realität und
konzeptueller Serienfertigung gibt den Sets eine heitere Leichtigkeit.
Diese Unbeschwertheit findet sich in vielen Arbeiten Weirichs.
Die 1962 in Unna geborene heutige Professorin an der Hochschule für
bildenden Künste in Hamburg beendete ihr Studium 1990 als Meisterschülerin
von Timm Ulrichs an der Kunstakademie Münster. Nachdem sie von
1991 bis 1995 einen Lehrauftrag an der TU Berlin innehatte, gelang
es ihr, ein Stipendium des Berliner Senats für die USA zu ergattern.
"Etliche Male musste ich mich bewerben, bis es endlich klappte",
erinnert sie sich. Der Amerikaaufenthalt prägt ihre Arbeiten
noch heute.
Bei Laura Mars zeigt sie auch Fundstücke vergangener Lebensmomente.
Die Installation "Toms furs and feathers" versammelt allerlei
"Roadkill" eines amerikanischen Truckers. Der nagelte die
plattgefahrenen Tiere in seiner Garage an die Wand und kommentierte
sie lapidar mit kurzen Sprüchen. Nachdem die Künstlerin
den Raum angemietet hatte, sah sie die Schemen der konservierten Kadaver
an der Wand. Mit Grafitpuder, wie es auch Kriminalisten bei der Spurensicherung
benutzen, machte sie die Silhouetten wieder sichtbar. So treffen nun
an der rekonstruierten Bretterwand eine "Schildkröte beim
Schwimmversuch", eine "Rock-n-rollende Maus" und vielerlei
anderes Getier aufeinander.
"Als ich die Sprüche entdeckte, interessierte mich die Welt
der Trucker. Da habe ich im Internet erst einmal recherchiert, wie
die sich so unterhalten." So floss die fremde Welt der Highwaykapitäne
als Hintergrund in die Arbeit ein. Häufig entsteht aus der Spiegelung
fremder Lebenswelten durch die Interpretation Weirichs in ihren Arbeiten
ein neues, poetisches Amalgam. "Ich habe die Apokalypse verpasst",
behauptete sie im Titel einer Präsentation aus dem Jahre 1993.
Zu sehen war auf zehn halbkreisförmig angeordneten Videobildschirmen
das ebenmäßige Gesicht der Künstlerin. Sie posierte
vor den Arbeitsstätten von zehn ihr unbekannten Personen. Denen
nannte sie jeweils einen Begriff, der mit einem Buchstaben des Wortes
Apokalypse begann. Sie bat die jeweils in anderen Berufen tätigen
Fremden, ihr dann die Assoziationen zu dem Wort zu erzählen.
"Dabei verrieten sie mehr über ihr Leben, als wenn sie mir
ihre Biografie ausgebreitet hätten", meint die Künstlerin.
Beim Substantiv "Loch" denkt die Architektin an gestanztes
Transparenzpapier, die Frauenärztin an die Vagina und der Buchhändler
rattert wie auf Bestellung ein ganzes Kompendium an so genannter Lochliteratur
herunter.
Das Pendeln zwischen den Kontinenten, die Vielzahl der unterschiedlichen
Arbeitsbezüge haben die stets neugierig forschende Künstlerin
geprägt. Eine Vielzahl von Materialien verwendet sie in ihren
Arbeiten. Die reichen vom Videoclip bis zum Filmdialoge brabbelnden
Handtuchspendern. Die Hygienegeräte zweckentfremdet sie gerade
als "Trostspender" im still gelegten Schwimmbad in der Oderberger
Straße. "Als ich einmal mehrere Arbeiten in einer Galerie
hängen hatte, meinten die Besucher, die kämen alle von verschiedenen
Personen", behauptet Weirich.
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