aus: Stadtblatt, Mai 1990
Tokyo Rose - eine kaleidoskopische Sprachbetrachtung
von Susanne Weirich
von Milo Köpp
Drei Diaprojektoren, wie Bühnenscheinwerfer unter der Decke angebracht,
tauchen drei weiße, quadratische Leinwände in ein helles
Licht. Die großen, reflektierenden Quadrate bilden ein Panorama,
das in den Raum zu schweben scheint. Die beiden schwarzen »Souffleurkästen«,
in einigem Abstand zu den Projektionsflächen aufgestellt, verleihen
dem Raum die Aura eines Theaters. Sie markieren die Grenze zwischen
Zuschauerplätzen und Bühne - einer Bühne für immaterielle
Akteure.
Tokyo Rose ist eine Ton-Bild-Schau in drei Akten über die Möglichkeiten
des Sprachgebrauchs am Beispiel von Frauen. Mit montierten Tonsequenzen
erzählt Susanne Weirich, Meisterschülerin bei Timm Ulrichs,
abgewandelte Sprachgeschichten von historischen Frauen, Frauen aus
der Mythologie und aus der Märchenwelt. Dreiteilige Bildreihen
illustrieren und kommentieren die eingespielte Bandaufnahme.
Mit der Montagetechnik überbrückt Susanne Weirich die historische
Kluft der auftretenden Frauenfiguren und bindet sie in den Kontext
der thematisierten Sprachbetrachtungen. Der Besucher wird langsam
in ein immer dichter werdendes Netz der Assoziationen und Querverbindungen
zwischen Bild und Bild - Bild und Ton verstrickt. Die Erzählungen
erzeugen in Verbindung mit den Diaprojektionen eine eigene Form der
geschichtlichen Realität, deren Komplexität von der subjektiven
Erlebnisfähigkeit des Zuschauers abhängt.
Der erste Akt, DIE UNIVERSALITAT DES SEUFZERS, kreist um ein fiktives
Interview der Sprachforscherin Pia Trömmel-Plötz mit dem
Theaterregisseur Peter Zadeck. Thema der Unterredung ist das 'zweifache
»Ach«' der Alkmene aus Heinrich v. Kleists Amphitryon,
»ein Prüfstein für jede Schauspielerin« (Pia
Trömmel-Plötz). »Das liegt daran, das in dieser kleinen
Silbe ja soviel drinliegt ... « (Peter Zadeck). In einem süffisanten
Monolog steigert sich der Theaterregisseur langsam in die Rolle des
Göttervaters hinein. Die sprachlos werdende Sprachforscherin
'unterliegt' ihm schließlich als Alkmene, erlebt wie sie die
Konsequenz aus ungenügender Artikulationsfähigkeit. Eingeleitet
und unterbrochen wird das ironische Interview mit geflüsterten
Ausführungen einer Wissenschaftlerin über das Seufzen und
Jacques Offenbachs Arie Phöbus stolz im SonnenwagenAnläßlich
einer Vermißtenanzeige erzählt eine alte Frau in der STROM
DER SPRACHE (II) verwobene Geschichten von sieben »Sprecherinnen«.
Alle sieben nutzen ihren Sprachschatz zur Veränderung und Flucht,
aber ihre Wege unterscheiden sich. lphigenie, Opfer des Vaters, schmiedet,
»aus dem Zwang speichern zu müssen«, ein »Wortschwert«
und entkommt spurlos von Tauris. Sieht sie ihre Chance in der intellektuellen
Auseinandersetzung mit den Wächtern Thoas und Arkas, so »weben«
die Brontë-Schwestern in langen Nächten einen »Wortteppich«,
der sie endlich zu ihren »Fabelküsten« trägt.
Derweil erfährt Alice (Alice im Wunderland), versteckt hinter
den Spiegeln, die Auswirkungen von Sprachrosinen am eigenen Leibe.
Ihr wechselndes Wachsen und Schrumpfen fungiert als übergreifende
Metapher der sozialen Bedeutung des individuellen Sprachgebrauchs.
Den abstrakten Formeln und Zeichen folgt die kleine, gelähmte
Ada (Ada Lovelace). Mit eiserner Disziplin und mathematischer Logik
wehrt sie sich gegen die Krankheit, später gegen ihren Mann.
Ulrike (Schwester von Kleist), der letzten im Bunde, widerfährt
das traurigste Schicksal. Wahnsinnig werdend, verfällt sie einem
Redezwang. Wie bei der eingeblendeten Sandsteinfigur verwischen äußere
Einflüsse - dort die Witterungsverhältnisse, hier der dominierende
Bruder - die Konturen ihrer Persönlichkeit.
In die SPUR DER STIMMEN (III) erzählen zwei junge Frauen fast
synchron die Geschichten von Undine und der kleinen Seejungfrau. Die
beiden Elementargeister verschenken aus Liebe zu einem Mann ihre Stimme,
um eine Seele zu bekommen. Doch aufgrund ihrer Stummheit können
sie sich nicht zu - erkennen geben und werden zur Sprachlosigkeit
unter Wasser verdammt. Montiert wird diese Passage mit einem Interview
zwischen einem Arzt und einer Patientin, die an Sprachlosigkeit leidet
und so ein authentisches Beispiel für die Auswirkungen der _
Aphasie gibt. Die verlorenen Stimmen tauchen in Japan wieder auf,
in einer Propagandasprecherin des zweiten Weltkrieges: Tokyo Rose.
Über Funk kommt es zu einem Ätherkrieg mit den amerikanischen
GI´s, die Tokyo Rose den Tod wünschen und sich dennoch
in ihre Stimme verlieben.
Tokyo Rose ist ein streng strukturierter, facettenreicher Sprach-Bilder-Bogen
zu der Geschichte der sprechenden Frauen. Der erste Akt thematisiert
in überzeichneter Form die fatale Konsequenz der Selbstbeschränkung
auf die rein emotionale Äußerung - das Seufzen. Die Unfähigkeit
zu hinterfragen läßt Alkmene (Pia Trömmel-Plötz)
zum erotischen Spielball männlicher Eitelkeit und Begierde werden.
Dagegen wehren sich die Frauen im zweiten Akt mittels der Sprache
gegen soziale Zwänge. Ihre gewonnene Unabhängigkeit bezahlen
sie jedoch mit der Isolation. Im letzten Akt verliert das sprechende
Subjekt seine individuelle Bedeutung, wird Mittel zum Zweck. Die Funktionalisierung
von Stimmen, ermöglicht durch die Mediatisierung, schafft der
Manipulation freien Raum.
Die kombinierten Tonsequenzen aus fiktiven Dialogen, abgewandelten
Mythologien, Auszügen aus Märchen und authentischen Tonaufnahmen
bilden die Erzählstränge, kongenial von Abbildungen aus
dem Bereich der Wissenschaft und Kunst, historischen Dokumentationen
und verfremdeten Illustriertenfotos begleitet. Die Ungleichzeitigkeit
des Dargestellten zu der montierten Erzählung löst eine
Fülle von Assoziationen und geistesblitzartigen Einsichten aus.
Zwischen den subjektiv verarbeiteten Eindrücken zu den Geschichten
über Sprache liegt das Spannungsfeld der Arbeit. So begleitet
das hektische Sirren und die Detonation einer Bombe in dem zynischen
»Ständchen« der GI's für Tokyo Rose eine Abbildung
von Jimi Hendrix. Sein Zungenspiel auf der geliebten Gitarre, eingereiht
in die Folge der Abbildungen künstlerischer Gleichstellung von
Saiteninstrumenten und Frauen (Man Ray, Arman u.a.) erinnert an sein
unorthodoxes Gitarrenspiel, den hörbaren Geräuschen oft
nicht unähnlich. ' Jimi Hendrix' Geschichte steht aber für
eine andere Variante der Manipulation, der Mediatisierung des Kulturkrieges.
Susanne Weirichs intellektuelle Auseinandersetzung mit Sprache bestimmt
die Konzeption, die Tokyo Rose einen fast dokumentarischen Charakter
verleiht und die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verwischt.
Ironisch bricht das Finale den Bann, der im letzten Teil schon beklemmende
Züge annimmt und verweist auf eine Show. Das sehenswerte Konzept-Kunst-Stück
wird am 16.05.1990 um 21.00 Uhr im Pumpenhaus aufgeführt (Dauer:
ca. 40 Min.). Eine kurze sprachliche Einführung wäre wünschenswert.
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