aus: Punch in
Out, Kath. Kunsthaus Hamburg, 1997

Sommer, Gäste

von Rembert Hüser


Wie affig ist eine Geste? Warum haben Affen keine Hände? Es ist unschwer zu ersehen/daß ein Kind/ welches noch seines Verstandes/noch der Rede fähig ist/sein Begehren nichts destominder durch die Regung der Hände und Bewegung des Haubts verstehen machet. Ist also die Lehrmeisterin dieser Kunst die Natur selbstens/welche auch auch das unvernünftige Vieh verständiget."1 Kommt Wahrheit von der Natur und sind die Hände am nächsten dran an der Wahrheit einer Aussage, - die Hand wächst eigentlich am Herzen - , (die Schrift verstellt, ja selbst die Stimme macht Schwierigkeiten), haben wir das Problem, was uns noch trennt vom unvernünftigen Vieh. Wie können wir uns im Unterschied zum Tier aufrecht verhalten? Erstmal müssen wir die Zoologie ignorieren: Die Hand des Menschen wäre also ein Ding für sich nicht als abtrennbares Organ, sondern als different, verschieden von allen Greiforganen (Tatzen, Krallen, Fängen); sie ist davon unendlich*, d.h. durch einen Abgrund des Wesens*` verschieden. Dieser Abgrund ist das Sprechen und das Denken. ,Nur ein Wesen, das spricht, d.h. denkt, kann die Hand haben und in der Handhabung merke der Hand vollbringen.*"2 Haben wir einen ureigensten Ausdruck so immunisiert, ihm seinen Bereich zugewiesen, können wir uns darauf konzentrieren, wie sich dieses Hand-Denken artifiziell herstellen, wiederholen läßt. Wie klinkt man sich ein in den sozialen Raum? Was kann überhaupt von einer Geste hängenbleiben? Vorgabe ist die vielleicht überdeterminierteste Politikmetapher der BRD-Geschichte: Armin Meier: warum host dos denn jetzt gmacht?' 3 - , -(4 sieben Jahre nach "Die Hände waren verkrampft. Soweit ich sehen konnte, hatte er nichts in der Hand")5 und ein Jahr nach "das vereinbarte Handzeichen - das war das Öffnen der Hand; dreimaL`` 6 nähert "Die öffentliche Hand" sich der Frage nach den Möglichkeiten eines politischen Agierens im öffentlichen Raum über eine Inventarisierung des Fundaments, der Geste. Als Antwort auf Fassbinders Selbstexposition am Telefon im Bett am Tisch im weißen Bademantel Nackt mit Hand am Schwanz mit Hand vor dem Gesicht mit Mutter mit Freund auf dem Bildschirm werden im Rahmen der korrespondierenden Gruppenarbeit auf jetzt einer Photo-CD, die nach dem Film Einzeleinstellungen liefert, als Bestandsaufnahme 10 Fotos öffentlicher Repräsentanten (Film, Sport, Theater) präsentiert; genauer: 10 Ausschnitte mit namhaften Handpartien. Der Name, der zur Hand geht, scheint allererst Unverwechselbarkeit zu suggerieren. Nicht zu irgend einem andern Körper, als gerade zu dem, dem sie zugehört - kann irgend eine Hand passen. [ ... ) Ruhend und bewegt spricht die Hand. Ruhend zeigt sie die natürlichen Anlagen - bewegt mehr die Leidenschaften und Verrichtungen des Menschen.«7 Das da ist Helge Schneiders Hand und schon Laufen alle Referentialisierungen einer physiognomischen Charakteristik ab, "ich hab auch Tiere zuhause, Sardellenpastete, Kochschinken, äh nä, ist ja kein Tier, sind ja keine Beine dran, sonst aber, Fische, auf der Fensterbank 200 l Aquarium."8 Die Hand-Schrift ist mit Letraset aufgerubbelt, der Hintergrund spult Programme ab, das eigentlich Serielle. Was unterscheidet uns von den Affen im Fernsehen? Wie bauen wir unseren Gedächtnisraum auf? "Als nun die Angehörigen diese zu bestatten wünschten und die zerschmetterten durchaus nicht unterscheiden konnten, soll Simonides dadurch, daß er sich erinnerte, welchen Platz jeder bei Tisch eingenommen hatte, allen gezeigt haben, wen jeder zu begraben habe."9 Mit der Garage in 1137 South Cochran brauchen wir ein Jahr nach se7en keine Bildungsemphase mehr für unsere Tableaus. Entziffern, klar, aber können wir uns mit den toten Tieren in Umrissen selbst angeben? "Toad when waving goodbye. [ ... ] vole getting tired. A truckdriver vanishing." Das tote Tier, das die Hand hochnimmt. in unserer Kreide steht. Fahren wir fort mit einer Kombinatorik, die Geste und Arbeit miteinander verschweißt, und die freiverästelte paradigmatische und syntagmatische Verknüpfungen erlaubt: "Art.-No.61, Inhalt: Badekappe, Muscheln, Federball, Kondom mit Bananenaroma, Sandförmchen." Hin- und herspringen.



1 Georg Phillipp Harsdörffer: Frauenzimmer Gesprächspiele. Vierter Theil (1644). Tübingen 1968, S. 268.
2 Jacques Derrida: Heideggers Hand (Geschlecht II). Wien 1988, S. 67f.
3 Deutschland im Herbst, BRD 1977/76, Alf Brustellin u.a.
4 Kaitlin Duck Sherwood: A Beginner's guide to effective email: Gestures. ducky@webfoot.com.
5 Stuttgart-Stammheim. 25.10.1977, Vernehmung des Obersekretärs im Vollzugsdienst Adolf Richard Soukop. in: Weidenhammer: Selbstmord oder Mord? Kiel 1988, s. 357.
6 Protokoll, 72. Sitzung des Innenausschusses und 83. Sitzung des Rechtsausschusses am Montag, 12. Juli 1993, 9.00 Uhr, Bonn, Bundeshaus, Saal 2304 NH, S. 31.
7 Lavater: Physiognomische Fragmente. Stuttgart 1984. S. 198ff.
8 Helge Schneider Live in Gelsenkirchen, 22.11.1991.
9 Cicero: Vom Redner/De Oratore, II, München o.J., S. 250.