aus: Neue Zürcher Zeitung, NZZ 24. / 25.07.99


Apokalypsen und andere Enthüllungen -
Susanne Weirich im Kunsthaus



von Thomas Ribi

Statements von Menschen über Probleme, die sich im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ergeben, Phantasien über eine barocke Liebestopographie oder Fragmente aus Filmdialogen, die aus Handtuchspendern klingen: Die Arbeit der 1962 geborenen deutschen Künstlerin Susanne Weirich gilt dem Verhältnis, von Sprache und Bildmedien. Das Kunsthaus Zürich zeigt zurzeit Arbeiten Weirichs aus den letzten Jahren.
Zehn Menschen aus verschiedenen Berufen sprechen je eine Minute lang über zehn Begriffe, deren Anfangsbuchstaben das Wort «Apokalypse» ergeben: Die Ärztin etwa erzählt zum Wort «Abdruck» von den Spuren, die Misshandlungen auf den Körpern ihrer Patientinnen hinterlassen, der Schuhmacher hält zum Begriff «Kopie» ein Plädoyer für Schuhe, die ihren Namen noch verdienen, und der Briefträger hat beim Stichwort «Sorte» verschiedene Arten von Briefkästen im Sinn. Auf zehn Videomonitoren ist dazu das Gesicht von Susanne Weirich zu sehen, die unbeweglich am Arbeitsplatz der Person steht, deren Statement gerade zu hören ist, und tonlos die Lippen bewegt: Die Auskünfte aus Beruf und Leben, welche die in Berlin lebende deutsche Künstlerin für die Videoarbeit «Ich habe die Apokalypse verpasst» (1993) einholte, fügen sich zu einem Panoptikum von Schwierigkeiten, Missverständnissen und knapp verhinderten kleinen Katastrophen, die unseren Alltag nicht unwesentlich prägen, die aber immer wieder durch den Sachverstand und die Kompetenz von Fachleuten gemeistert werden. Apokalypsen in einem doppelten Sinn also: es sind verhinderte Katastrophen, die erst im Erzählen, also in der Enthüllung - der Apokalypse in der eigentlichen Bedeutung des Wortes - gegenüber der Künstlerin ans Tageslicht kommen.
Die Videoinstallation, die zusammen mit einer Auswahl weiterer Arbeiten im Kunsthaus Zürich zu sehen ist, zeigt zentrale Aspekte im Schaffen der 1962 geborenen Künstlerin: mit der Beziehung zwischen Sprache und Bildmedien ist ein Thema berührt, das Weirichs Werk in verschiedenen Formen durchzieht; die nüchterne, sich an statistische Kriterien anlehnende Versuchsanlage - befragt wurden fünf Männer und fünf Frauen, die zur Hälfte in Hamburg, zur Hälfte in Berlin leben - und der unspektakuläre Auftritt - zehn Monitore stehen in einem Halbkreis nebeneinander - scheinen zunächst ein rein dokumentarisches Interesse zu spiegeln. Dass sich beim Hören der Aussagen, im fragmentarischen Blick auf die Wirkungsstätten der Sprecher und in der scheinbar unbeteiligten Haltung der Künstlerin allmählich Porträts von Personen ergeben, dass sich die einzelnen Geschichten zu einer übergreifenden Erzählung fügen, in der sich wie in einer Hohlform die Person der Künstlerin abzeichnet, lässt spüren, was Susanne Weirich meint, wenn sie davon spricht, Orte in «dreidimensionale Erzählungen» zu verwandeln.
Auch die Installation «Elle ne perd pas le nord» (1998) mutet kühl distanziert an: Auf Wände mit Auszügen einer barocken «Carte du tendre» - darauf ein Dorf «Nouvelle amitié», ein Fels «Orgeuil» und weite «Terres inconnues» - werden Sätze aus geographischen Fachbüchern projiziert. Die Orientierung, die versprochen wird, will sich zunächst nicht einstellen, die wechselnd aufscheinenden Sätze fügen sich kaum zu den sie umgebenden Bildern. Doch mit einemmal erschliesst sich der Zauber von Sätzen wie «Maps help us tell stories about ourselves» oder «Man wird unterwegs nicht jederzeit seinen Standort in der Karte angeben können», und der Weg von der «Médisance» zur «Sensibilité» liegt klar vor Augen. Und wenn einem in der Arbeit «Trostspenden» (1997) auf der Toilette beim Benutzen der Handtuchspender auf Körperflüssigkeiten bezogene Sequenzen aus Filmdialogen entgegenschallen, mag man sich an die Maxime erinnern: « <Verirrt> ist man erst, wenn einen dieser Zustand seelisch belastet.»