aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.05.2002


Rubbelbilderglückssucher

von Knut Ebeling


Noch vor einigen Jahren waren sie auf jedem Rummel und in jeder Briefwurfsendung präsent, jene Rubbellose, die die Tätigkeit des Rubbelns als eine Aktivität auf dem Weg zum Glück erfanden. Einigen klebt davon noch heute die graue Farbe unter den Fingernägeln. Nun ist es an der Zeit, das Rubbeln als künstlerische Tätigkeit wiederzuentdecken. Genau das geschieht in der Ausstellung von Susanne Weirich bei Laura Mars. Weirich, eine der treffsichersten Berliner Konzeptkünstlerinnen und als solche Schöpferin einer "Glücksprophezeiungsmaschine", erfindet die Malerei als Glücksspiel neu: Eine ganze Wand dürfen die Besucher der Kreuzberger Galerie freirubbeln.
Dahinter hat Weirich eine geheimnisvolle Wandmalerei versteckt. Als Preis seiner archäologischen Entbergung winkt jedoch kein Scheck in Höhe von X und auch kein rosa Teddybär. Die Belohnung Weirichs ist weitaus nobler: Die fleißigen Kratzer und Rubbler erwartet bei vollendeter Freilegung des Bildes nicht weniger als ein Einblick in das Wesen postkonzeptueller Malerei. Denn was durch die Kreuze und Blumen, die Graffitis und Klosprüche zum Vorschein kommt, die bislang in diversen Kratz- und Rubbeltechniken an der Wand hinterlassen wurden, sieht noch aus wie ein tachistisches Gemälde: lauter stumme Kreise. Das Bild als Schatzkarte vereint Rubbelfreund und Kunstliebhaber, stellt es doch beide vor dasselbe Problem: Mit seiner Freilegung hört die Suche nicht auf, sondern fängt sie erst an. Unter der geheimnisvollen grauen Schicht entdeckt man nicht die Lösung, sondern das Rätsel der zeitgenössischen Malerei - die freilich vom versiert sich durch die Kunstgeschichte rubbelnden Glückssucher als Lösung gelesen werden darf: Vor Weirichs Rubbellos in Wandformat entpuppt sich das Geschäft der Bildinterpretation als heitere Schatzsuche von Reichtümern, die von
listigen Künstlern hinterlegt wurden. Gewinner ist nicht, wer den tollsten Schatz vergräbt, sondern am klügsten versteckt.