aus: Berliner Zeitung, 15.09.2000


Bankräuber im Flanellanzug

Susanne Weirich erklärt in der Berliner Galerie Borgemeister ihre Verschwörungstheorien


Manchmal gibt es Dinge, die ergeben nur zusammen einen übergeordneten Sinn. Einzeln und allein wirken sie isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen. Gemeinsam und zusammengesetzt entfalten sie plötzlich eine Synergie, die ans Kosmische grenzen kann. Susanne Weirich, Konzeptkünstlerin, die oft mit Filmstills arbeitet, mag es so gegangen sein, als sie Thomas Pynchons Roman "Die Versteigerung von Nr. 49" von 1965 las und kurze Zeit später Norman Jewisons Film "Thomas Crown ist nicht zu fassen" von 1968 sah. Plötzlich muss sich ihr zwischen Buch und Film eine Welt aufgetan haben.
In ihrer Ausstellung in der Galerie Borgemeister versucht die Berlinerin, sie uns zu erklären. Wir sind nicht sicher, ob wir sie verstehen. Und wir wissen auch gar nicht, ob wir das wollen. Sicher, wir haben alle unsere Verschwörungstheorien im Kopf, seltsam abergläubige Vorstellungen darüber, wie Dinge, die offensichtlich nicht zusammengehören, dennoch einen geheimen Sinn ergeben. Man könnte tonnenweise Literatur verfassen mit den versteckten Sinngebungsdelirien der Leute, auch wenn sie nur deren Chef betreffen oder die unfreundliche Brotverkäuferin. Jeder hat eine obskure Welt im Kopf. Aber warum sie in einer Galerie ausstellen?
Man muss Verständnis mitbringen, Verständnis für Verschwörungstheoretiker: Pynchon, ein Altmeister der literarischen Verschwörungstheorie, schreibt in der "Versteigerung von Nr. 49" die Geschichte von Oedipa Maas, die nach der Rückkehr von einer Tupperwareparty als Testamentsvollstreckerin ihres Ex-Lovers eingesetzt wird. Auf der Suche nach dem Nachlass gerät sie auf die Spur einer obskuren Gegenwelt innerhalb ihrer Welt, die über ein eigenes Postsystem verfügt und anderen Gesetzen gehorcht. Im Laufe ihrer Suche verstrickt sie sich so sehr in das Phantom, dass die Spur zur eigentlichen Sache und die Suche zur eigentlichen Story wird. Literaturwissenschaftler haben in dem kryptischen Werk verborgene Anspielungen auf alte Texte gefunden, vom Drama des 17. Jahrhunderts bis hin zu Keats, Rimbaud und zu Nabokov, als dessen Schüler sich Pynchon mitunter ausgegeben hat. Doch wer steckt hinter der Verschwörung? KGB, CIA, CDU? Wir alle? Am Ende gar der Kunstbetrieb?
Weirich beantwortet die Frage nicht. Stattdessen mischt sie Pynchons Text unter zusammenmontierte Filmstills aus dem Kultfilm. Ausschnitthaft sieht man eine Schulter, eine Taschenuhr, graues Flanell. Ein Brief, ein Siegel, nackte Haut. Steve McQueen im grauen Flanellanzug ist ein Bankräuber aus Langeweile, Faye Dunaway im weißen Kostüm eine Versicherungsagentin zwischen Auftrag und Leidenschaft, Atmosphäre von Sex & Crime: Man hört förmlich das Knistern der Geldscheine im Koffer und das Ticken der goldenen Taschenuhr auf dem Rücksitz. Darunter heißt es dann kryptisch: "Obwohl sie über Radios noch weniger wusste als über Südkalifornier, war in beiden Fällen in den Mustern, die nach außen hin sichtbar wurden, ein hieroglyphisch verschlüsselter, aber unzweifelhaft vorhandener Sinn zu erkennen, eine feste Entschlossenheit zur Kommunikation." Ebenso fest entschlossen zur Kommunikation mit der Kunst, erfährt der Besucher nicht mehr. Nur soviel: Es handelt sich um das Rätsel der Welt und nicht um seine Auflösung. Sowohl Künstlerin als auch das Material legen nahe, dass es nicht um Sinn geht, sondern um Suche, nicht um das Glück des Findens, sondern um die Kunst des Scheiterns.
Weirich, Teilnehmerin der Jahrhundertausstellung im Hamburger Bahnhof, ist bekannt für hochkomplexe Assemblagen, die zuweilen psychotische Ausmaße annehmen. Pynchon ist berühmt für die Verzweiflung der Literaturwissenschaftler, die in seinen Büchern einen definitiven Sinn zu finden versuchen. Allein Faye Dunaway, die Versicherungsagentin auf der Suche nach dem Bankräuber, findet in Thomas Crown alias Steve McQueen nicht nur den Gangster, sondern auch den Geliebten, wobei die Entdeckung der Leidenschaft natürlich gleich bedeutend ist mit dem Verlust ihres hochkarätigen Jobs. So ergeht es dem Besucher am Ende wie Oedipa Maas: "Sie kann Schlüsselfragen miteinander kombinieren. Sie kann nach Hinweisen suchen. Sie kann ihr ganzes Leben damit verschwenden und doch nicht den kleinsten Zipfel Wahrheit dabei in die Finger kriegen."

von Knut Ebeling