aus: Der Tagesspiegel, Kunst & Markt, 26.06.1998
Der Verlorenheit einen Ort geben
Alptraum eines Kartographen: Angel Vergara und Susanne Weirich in
der Galerie Borgemeister
von Knut Ebeling
Es gehört zu den Paradoxien des modernen Seelenhaushalts, daß
unser Innenleben eine objektiv unnachweisbare Angelegenheit ist, die
sich dennoch realer sprachlicher Bezüge bedient. Wer den Ort
der Emotion in seiner Sprache zu genau bestimmt, kann die Erfahrung
machen, daß er sein Gefühl dort nicht wiederfindet. In
der modernen Literatur wimmelt es von Verlusterfahrungen emotionaler
Präzision, von Jagden auf ein Opfer, das in Wirklichkeit ein
Täter ist.
Nun war man nicht immer so unbeholfen in der Vorortung seiner Leidenschaft.
So ist es ein Klischee des Barock, daß sich dort Emotion und
Strategie gegenseitig die Hand reichen. Bevor die Romantik Gefühl
und Wahrheit identifizierte, scheint man sich im Barock unbescholten
jener Fiktion namens Passion hingegeben zu haben, die aus der Gunst
ein Schachspiel und aus dem Herzen ein Niemandsland machte. Von einer
gewissen Mademoiselle de Scudéry etwa ist bekannt, daß
sie an ihre Günstlinge "Karten der Zärtlichkeit"
verteilte, auf denen zwar Orte wie Tugend und Scham, Stolz und Leidenschaft
eingezeichnet waren. Doch ein Herz, geschweige denn den Weg zu ihm
suchten die Narren ihres Herzens auf der Karte vergeblich.
Für diesen Bezug der Sprache der Topographie zur Landkarte der
Leidenschaft interessiert sich Susanne Weirich. In der Galerie Borgemeister
hat sie einige Orte einer fiktiven "Carte du Tendre" aus
einem Roman von besagter Mademoiselle de Scudéry an die Wand
gepinselt. Doch es geht Weirich weder um das historische Zitat barocker
Jagdfreuden, noch um einen Nachvollzug der modernen Verlusterfahrung.
Ihre Arbeit "Elle ne perd pas le Nord" - was soviel heißt
wie "Sie weiß wo es langgeht" - rollt das komplexe
semiotische Bermuda-Dreieck zwischen Sprache, Topographie und Passion
von hinten auf.
Weirich beschreibt nicht die Wege der Verwirrung sondern die Verwirrung
als Weg: Und zwar projiziert sie auf einige Teile der barocken Seelenkarte
topographische Beschreibungen aus verschiedenen Literaturen, an denen
Orte gesucht, Orte verfehlt und Orte gemieden werden. Weirich erzählt
also nicht die Geschichte einer Suche, sondern sucht selbst nach der
sprachlichen Verfassung dieser Geschichte. Es geht ihr nicht darum,
den Weg zum Herzen zu beschreiben, sondern um die topographischen
Vektoren selbst die diesen Weg ebnen; nicht darum, sich im Wirrwarr
der Gefühle zu orientieren, sondern darum, das Phänomen
der Orientierung selbst zu beleuchten. Mit ihrem ebenso schlichten
wie wirkungsvollen Dreh, den sie dem Diskurs der Herzen versetzt,
retourniert Weirich souverän die Strategien der preziösen
Salondamen. in ihrer Intervention, in der die Wirrnis der -Suche die
Klarheit eines funkelnden Schatzes gewinnt, gelingt ihr das Kunststück,
der Verlorenheit einen Ort zu geben.
Es gibt nicht viele Arbeiten zeitgenössischer Künstler,
die immer spannender werden, je länger man über sie nachdenkt.
Weirich zur Seite gesellt sich eine Arbeit des belgischen Situationisten
Angel Vergara. Er malt was Weirich zitiert, und zwar Karten: kosmische
Sternenkarten, auf denen sich innere und äußere Welt überlagern
wie im Traum. Auf den Karten, die Vergara in der Ästhetik der
Surrealisten auf eine Wand und zwei Schilder bei Borgemeister bringt,
wimmelt es von Ziffern und Gradzahlen, von Buchstaben und Begriffen.
Doch die Koordinaten koordinieren nichts. Sie geben nur die Folie
ab für diesen Alptraum eines Kartographen, in dem die Symbole
ohne Grund und Boden durcheinanderpurzeln wie im All. Analog zur Psyche
löst sich die Karte von der Wirklichkeit und entfaltet ein surreales
Eigenleben. Liest man die Arbeit Vergaras enger an die Geschichte
des Situationismus gebunden, und weiß man von seinem nomadischen
künstlerischen Vorleben, so müßte man von einer Reterritorialisierung
eines verlorenen Terrains sprechen. Vielleicht entspricht nur die
Verwirrung der kartentechnischen Koordinaten der Konfusion der Gefühle.
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